Söllenthin
Vor der Reformation befand sich der Ort Söllenthin im Eigentum des Havelberger Domkapitels. 1560 erwarb Matthias von Saldern zusammen mit der Plattenburg auch <das gantze Dorff Solentin mit Gerichten, Pechten und Diensten>. Das Mauerwerk der Dorfkirche aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ist aus Feldsteinen gefügt, die Mauerkanten und Wandöffnungen sind mit Backstein gefasst. Auf der Ostseite blieben die schmalen spitzbogigen Fenster der Gotik erhalten. Der schiffbreite Westturm trägt ein quergestelltes Satteldach. Das Kircheninnere betritt man, aus dem tonnengewölbten Turmraum kommend, durch einen kleinen spitzbogigen Durchgang.
Auszug aus "Spuren aus der Pilgerzeit A.D. 1383-1552 entlang des ehemaligen Wallfahrtsweges Berlin-Wilsnack" von Cornella und Rainer Oefelein (2005): Auf der direkten Pilgerroute zwischen Berlin und Wilsnack findet man heute in den Dorfkirchen lediglich zwei gotische Schnitzaltäre, einen Kreuzigungsaltar in Söllenthin und einen Marienaltar in Görike. Es sind einfache Flügelretabei mit einem Mittelschrein und je einem schwenkbaren Seitenflügel. Uber die Herkunft der Altarretabel ist nichts bekannt, daß es eine heimische Werkstatt in der Prignitz gegeben haben könnte, gilt jedoch aus sehr unwahrscheinlich.
Der Flügelaltar in der kleinen Feldsteinkirche von Söllenthin wurde gegen Ende des 15. Jh. hergestellt. Der Mittelschrein zeigt die Kreuzigung und wird in den beiden Flügeln von je vier Heiligen in zwei Registern flankiert. Der Altar, einer von nur zwei erhaltenen Kreuzigungsaltäre in der Prignitz, wurde um 1960 eine leider sehr groben Restaurierung unterzogen, die mit ihrer~ plakativen Bemalung den Gesamteindruck stark beeinträchtigt. Nach dem Denkmalinventar von 1909 ist die Bemalung schon damals nicht mehr die ursprüngliche gewesen. Die Rückwände wurden mit Bibelzitaten (in Deutsch) wohl im 19. Jh. übermalt.
Die figurenreiche Darstellung der Kreuzigung im Mittelfeld, vor einem goldenen Hintergrund mit spätgotischem Stoffmuster, zeichnet sich vor allem durch eine außerordentliche Lebendigkeit und Portraithaftigkeit aus. Die detailreiche bewegte Gestaltung der Figuren kontrastiert mit den mehr statisch erscheinenden Heiligen in~. den Flügeln. Uber dem Mittelschrein und den Heiligenfiguren sind filigrane vergoldete Maßwerkbaldachine angebracht, mit Dreipaß-, Vierpaß- u. Fischblasenmuster.
Die Kreuzigungsdarstellung ist die des erweiterten “volkreichen Dreikreuztypes“, in dem rechts und links neben dem toten Christus am Kreuz die Schächer mitabgebildet sind. Im Gegensatz zu Christus, sind ihre Körper in qualvoller Verrenkung dargestellt. Tiefe Wunden klaffen auf ihren Oberschenkeln, die Arme, die über die Querbalken hängen, sind verdreht. Sie zeigen grausame offene Brüche aus denen die Ellenbogenknochen herausragen. Der ‚böse Schächer‘, auf der rechten Seite, wendet sich von Christus ab, seine Augen sind geschlossen, die Zunge hängt aus dem weit offenhängenden Mund. Bei ihm ist der Tod bereits eingetreten, während links der ‚reuige Schächer‘ mit flehendem Blick zu Christus hinauf schaut (Lk 23,39-43). Besonders phantasievoll ausgeschmückt ist hier die Darstellung der Einholung ihrer Seelen. Auf dem Querbalken des Kreuzes vom bösen Schächer sitzt ein grinsendes Teufelchen, von seinen Händen herab baumelt an ausgestreckten Armchen die kleine nackte Seele. Die Seele des reuigen Schächers, hingegen, ihre Hände im Betgestus, wird von einem kleinen schwebenden Engel behutsam getragen. Unterhalb der Kreuze steht eine dichtgedrängte Menge von Männern und Frauen. Auf der linken Seite im Vordergrund Maria und Johannes, daneben Maria Kleophas, Schwester der Gottesmutter (Joh 19,25), und Maria Magdalena, die kniend das Fuß des Kreuzes umklammert. Direkt unterh~Ib des Kreuzes Jesu, hinter Maria Magdalena, versetzt Longonius dem Gekreuzigten den Lanzenstoß (Joh 19,34), assistiert von einem der Ältesten. Dahinter drängen-sich weitere männliche und weibliche Zuschauer und Trauernde (Mt 27, 39; Mk 15, 29; Lk 23,35). Ein Soldat in voller mittelalterlicher Rüstung setzt seine Lanze zum Stich an. Neben ihm sieht man eine Dreiergruppe, die wohl die Ältesten, Hohepriester und Schriftgelehrten repräsentieren soll. Der erste von ihnen hebt in seiner Linken einen Schwert empor, während er mit der hochgestreckten rechten Hand auf Christus zeigt. Die Figur neben ihn trägt einen Judenhut. Dahinter stehen die Spötter mit ihren weit ausgestreckten Zungen. Im rechten Teil spielt sich unterhalb des Kreuzes jene Szene ab, in dem die Soldaten sich um die Kleider Christi streiten (Joh 19, 23-24). Einer der Männer kniet vor dem am Boden liegenden roten Gewand und setzt zum Würfeln an. Ein anderer stürzt sich auf das Gewand und will es an sich reißen, doch der Dritte packt ihn an den Haaren und schlägt mit einem Knüppel zu, während der Vierte ihn am linken Fuß festhält und mit seinem Dolch auf ihn einsticht. Diese Szene wird in der Literatur als die Darstellung eines Raubüberfalles interpretiert, der Anlaß für die Altarstiftung gewesen sein soll6, doch hierfür konnten keine Belege gefunden werden. In jedem Flügel des Retabels sind vier Heilige dargestellt, eingeteilt in zwei Registern. In der unteren Reihe des linken Altarflügels kann man links den Apostel Petrus, mit Buch und Schlüssel in den Händen, erkennen. Rechts neben ihn sieht man eine männliche Figur mittleren Alters, mit kahlem Haupt und langem, wallenden Vollbart, auf dem der tief heruntergezogene Schnurrbart hängt. Er trägt eine lange, mit einem Strick gegurtete Tunika, darüber einen rotgoldenen Mantelpallium. Er ist, wie Petrus, barfuß. In der linken Hand hält er ein aufgeschlagenes Buch vor seiner Brust, in der rechten eine Hellebarde. Diese Attribute, sofern nicht vertauscht7, verbunden mit der Apostel-Tracht, weisen auf den Apostel und Evangelisten Matthäus hin. Zwar könnte es sich ebenfalls um den Apostel Paulus handelnS, der sehr häufig links neben Petrus abgebildet wird, doch ist sein Hauptattribut das Schwert und nicht die Hellebarde. Der hI. Matthias, hingegen, wird üblicherweise als junger Apostel nur mit der Hellebarde dargestellt, also ohne das aufgeschlagene Buch. Die weibliche Figur in der oberen Reihe des linken Flügels hat langes, welliges Haar und trägt ein langes, weißes Gewand, darüber einen blau-goldenen Mantel. Auf dem langen, öffenen Haar trägt sie eine große, goldene Krone. Sie hält in ihrer rechten Hand, senkrecht vor ihrem Körper, ein langes Schwert, das mit der Spitze auf dem Boden ruht. Mit ihrer linken Hand zieht sie einen Teil ihres Mantels um sich. Mit diesen Attributen ist die Heilige eindeutig als Katharina von Alexandrien (Jungfrau und Märtyrerin, t307) identifizierbar. In dem Feld rechts neben ihr steht der hl. Georg auf einem großen Drachen. Der jugendliche Ritter, bartlos mit vollem, langem Haar, trägt eine silberne, zum Teil goldene Rüstung und einen rot-goldenen Mantel. Mit seiner langen, spitzen Lanze sticht er in das hochgestreckte Maul des Drachens.
In der unteren Reihe des rechten Altarflügels ist der Apostel Andreas dargestellt, der ein großes Stabkreuz vor seinem Körper hält. Ein Ende seines rot-goldenen Mantels hängt über die Gabelung des Kreuzes. Links neben ihn sieht man eine jugendliche männliche Gestalt mit länglichem, lockigem Haar und kurzem Bart, ohne Schnurrbart. Auch er trägt Tunika und Mantel, wobei ein Zipfel des blaugoldenen Mantels unter das Cirrgulum hochgesteckt ist. An den Füßen trägt der Heilige Schuhe. In der linken Hand hält er ein geschlossenes Buch. Da das Hauptattribut, das einst in der ausgestreckten rechten Hand gewesen ist, fehlt, ist eine Identifizierung kaum möglich. Auch die Heiligen der oberen Reihe des rechten Flügels stellen noch ein Rätsel dar. Die rechte Figur zeigt einen jungen Bischof mit kurzem Bart, ohne Schnurrbart und mit mittellangem Haar. Er trägt Alba und Dalmatik, darüber eine goldene Kasel und auf dem Haupt eine rote Mitra. Die rechte Hand hat er zum Segen erhoben, in der linken hält er den langen Bischofsstab. Möglicherweise handelt es sich um den hI. Nikolaus. Die Figur links neben ihn stellt einen jungen, männlichen Heiligen dar, bartlos mit Tonsur und mittellangem Haar. Den goldenen Chormantel, den er über eine Tunika trägt, zieht er an einem Ende mit der linken Hand hoch, so daß die rote Unterseite sichtbar ist. Unter seinem linken Arm klemmt ein Buch. Das Attribut in seiner Rechten ist nicht erkennbar. Möglicherweise handelt es sich um einen liturgischen Gegenstand, eine Monstranz oder ein Reliquiar. Franz Bentler identifiziert die Figur als den hI. Laurentius, Schutzheiliger des Havelberger Domstiftes, der das Paronat Qber die Kirche von Söllenthin hatte.